Genus in der Übersetzung
Beim Übersetzen stellen Aspekte, die mit dem grammatikalischen Geschlecht von Wörtern verbunden sind, eine der größten Schwierigkeiten dar. Bei der Übersetzung kann eine Fehlinterpretation des Genus eines Begriffs im Ausgangstext ernsthafte Kommunikationsprobleme nach sich ziehen.
Grammatikalisches Geschlecht
In den verschiedenen Sprachen existieren grundlegende grammatikalische Unterschiede.
In germanischen Sprachen wie Deutsch und Englisch gibt es drei Genera: Maskulinum, Femininum und Neutrum. Romanische Sprachen (z. B. Portugiesisch, Spanisch, Italienisch und Französisch) kennen dagegen nur das männliche und weibliche Geschlecht, wobei das Maskulinum bei Bedarf die grammatische Funktion des Neutrums übernimmt.
Als Beispiel sei der englische Satz „The dog barks all night.“ angeführt. Ohne weitere Informationen oder Kontext kann man nicht wissen, ob es sich bei dem Subjekt des Satzes um einen Hund oder eine Hündin handelt – in diesen Fällen wird bei der Übersetzung in romanische Sprachen in Ermangelung des Neutrums üblicherweise das Maskulinum verwendet.
Selbst bei Übersetzungen von einer Sprache mit Neutrum in eine andere Sprache mit Neutrum sind die Optionen nicht immer klar und eindeutig. In medizinischen Texten deutscher Sprache ist das Wort „die Patientin“ feminin. Im Englischen kann es, grammatikalisch korrekt, mit „the patient“ (geschlechtsneutral) übersetzt werden. Die volle Bedeutung des Satzes ergibt sich jedoch erst, wenn man ein Adjektiv – „the female patient“ – hinzufügt, das anzeigt, dass es sich um eine Person weiblichen Geschlechts handelt.
Semantik und Stil
Das grammatikalische Geschlecht ist bei der Übersetzung von Literatur und wissenschaftlichen Texten von zentraler Bedeutung, da es oft maßgeblich für den Sinn eines Textes ist.
Im Portugiesischen ist z. B. die Sonne, „o sol“ maskulin, der Mond, „a lua“ dagegen feminin. Jeder literarische, philosophische oder wissenschaftliche Text, der den Gegensatz zwischen diesen beiden Wörtern zum Thema hat, bereitet bei der Übersetzung vom Portugiesischen ins Deutsche unweigerlich Kopfzerbrechen. Die Aufgabe bei der professionellen Übersetzung ist es, intelligente Lösungen für Herausforderungen dieser Art zu finden, den übersetzten Text eventuell mit Anmerkungen zu versehen und, wenn immer möglich, die Autoren/-innen des Originaltexts um Rat zu fragen.
Sozialer und beruflicher Kontext
In der portugiesischen Sprache gibt es, wie im Deutschen, für die meisten Berufe und Tätigkeiten maskuline und feminine Bezeichnungen – “tradutor/tradutora” (Übersetzer/Übersetzerin), “médico/ médico” (Arzt/Ärztin) usw. – Einige Bezeichnungen wie „polícia“ (Polizist) oder „artista“ (Künstler) sind im Portugiesischen geschlechtsneutral.
Ähnlich sind im Englischen „doctor, „translator“ oder „artist“ geschlechtsneutrale Substantive – was die Texte vereinfacht, aber bei der Übersetzung Komplikationen in Hinblick auf den Kontext und kultureller Art mit sich bringen kann. Denn trotz der Geschlechtsneutralität werden bestimmte Berufe üblicherweise mit einem der beiden Geschlechter assoziiert: So wird aus „taxi driver“ standardmäßig „der Taxifahrer“. Der Beruf der „Nanny“ (Kindermädchen) hingegen wird so sehr mit Frauen assoziiert, dass es im Deutschen gar keine direkte Übersetzung ins Maskulinum gibt.
Allerdings existieren alternative, kreative Lösungen, die beide Geschlechter umfassen, und mit denen inklusivere, gendergerechte Texte formuliert werden können.
Lösungswege
Wann immer es die Struktur eines Textes zulässt, sollten Wege gefunden werden, Schwierigkeiten dieser Art auszuräumen. Hier empfiehlt sich die Doppelnennung femininer und maskuliner Formen wie „Kolleginnen und Kollegen“, die Kurzform der Doppelnennung mit Schrägstrich und Ergänzungsstrich „Direktor/-in“ und geschlechterneutrale Alternativen wie „Fachkraft“ oder „Studierende“.
Bei akademischen oder literarischen Texten, in denen die Verwendung des grammatikalischen Geschlechts verschiedene Nuancen und Bedeutungsebenen haben kann, ist es unter Umständen erforderlich, den Sachverhalt in Fußnoten zu erläutern.
Wenn bei der Übersetzung das Feingefühl fehlt, können Gefühle verletzt und Inhalte des Ausgangstexts ausgeblendet oder sogar falsch wiedergegeben werden – kurzum, das Ergebnis ist eine misslungene Übersetzung.