Redewendungen übersetzen, grausame Aufgabe…

Seit den Anfängen des Übersetzens haben viele Menschen sich Gedanken darüber gemacht, was und vor allem wie man am besten übersetzen sollte. Soll man wörtlich übersetzen, um das Wesentliche des Ausgangstextes zu bewahren, oder soll man eher sinngemäß übersetzen, um einen Zieltext zu erhalten, der in der Zielsprache natürlicher klingt?

Darüber scheiden sich bis heute die Geister, beide Ansätze sind in der Praxis des Übersetzens verankert und jeder verteidigt seinen Standpunkt. Die eine Form des Übersetzens ist sicherer, da sie sich eng am Ausgangstext orientiert, die andere ist freier, da sie sich vom Ausgangstext löst, dafür aber auch riskanter. Vergessen Sie daher Ihren Sturzhelm nicht!

 

Denn schließlich lässt sich alles übersetzen. Genau dafür sind wir ja da, aber hin und wieder begegnet einem die romantische Vorstellung, es gebe Ausdrücke oder Worte, die sich nicht lokalisieren lassen bzw. die nicht lokalisiert werden dürfen, weil sie dann ihren Sinn verlieren. Erst vor kurzem tauchte dieses Thema in den sozialen Netzwerken auf, und zwar im Zusammenhang mit dem Lied „Saudade”, mit dem MARO auf dem Eurovision Song Contest 2022 für Portugal aufgetreten war. Bei diesem Lied haben sich viele Portugiesen umarmt und wie einst ihre Vorfahren, die ersten Seefahrer, auf das weite Meer geschaut und waren sich einig, dass saudade untrennbar mit der portugiesischen Kultur verbunden ist und dass es außerhalb von Portugal keinen Ausdruck oder keine Übersetzung für dieses Lebensgefühl gibt. Und das stimmt auch, aber wieder auch nicht.

 

„Saudade“ kann durchaus in andere Sprachen übersetzt werden und wird auch häufig übersetzt, da jeder Mensch „Saudade“ oder Sehnsucht empfindet, die portugiesische „Saudade“ ist aber einzigartig, da sie von ganz innen kommt und tief in unseren kulturellen Ausdrucksformen verwurzelt ist. Und daher lassen sich solche eigentümlichen Ausdrücke oder Idiome nur schwer übersetzen. Mona Baker beschreibt in ihrem Buch In Other Words, dass diese Ausdrücke festgefügte Wortverbindungen einer Sprache darstellen, die nur wenig oder gar keine Variation zulassen und deren Bedeutung sich oftmals nicht aus den Bedeutungen der einzelnen Bestandteile ableiten lässt. Idiomatische Wendungen oder Idiome sind fest mit der Kultur eines Landes verbunden. Sie in einer Fremdsprache zu erlernen, kann einerseits amüsant, aber auch frustrierend sein.

 

In welchem anderen Land außer Portugal kann man sagen, etwas war Resvés Campo de Ourique? Wir kennen keine anderen Campos de Ourique, es sei denn, es gibt mehrere Campos de Ourique, die wie durch ein Wunder nicht dem Erdbeben von 1755 zum Opfer gefallen sind. Wir können dies im Englischen aber mit Close shave übersetzen. Das hat vielleicht weniger Ausdruckskraft oder klingt weniger prosaisch, aber die Bedeutung ist dieselbe. Etwas mehr leichthin könnte man auch Close, but no cigar wählen, aber hier ist der Sinn leicht verändert.
Und wer kennt nicht diese beiden klassischen portugiesischen Redewendungen: Trigo limpo, farinha Amparo, wenn etwas ganz einfach ist, oder Sair a carta na farinha Amparo, wenn jemand ein sehr schlechter Autofahrer ist. In den Redewendungen hat das Mehl (farinha), das seit vielen Jahren zu unserer Kultur gehört, zwei sehr unterschiedliche Bedeutungen. Und wie könnte man das ins Englische lokalisieren? Im ersten Fall wäre Piece of cake eine Option, bei der der Kontext sogar derselbe ist, aber fehlt nicht doch etwas…? Und wie wäre es mit Getting a driver’s license in a Cracker Jack box für den zweiten Ausdruck? Diese Übersetzung ist deshalb lustig, weil die Cracker Jack-Süßigkeiten immer kleine Geschenke enthielten, ein schlechter Autofahrer hätte also vielleicht sogar einen Führerschein gewinnen können. Diese Redewendung könnten wir ohne große Probleme übersetzen, müssten dafür aber kulturelle Gymnastik betreiben.

 

Und dann stellt sich noch eine andere Frage, und zwar die des maschinellen Übersetzens. Mit diesem Thema haben wir uns bereits in einem anderen Artikel befasst und festgestellt, dass ein maschinelles Übersetzungsprogramm zwar leicht einen Text übersetzen kann, indem die einzelnen Wörter durch ihre Entsprechungen ersetzt werden, dabei aber jegliche kulturellen und emotionalen Aspekte außer Acht lässt. Gerade diese kulturellen Kenntnisse bereichern jedoch eine Übersetzung, wenn sie richtig an den zielsprachlichen Kontext angepasst werden.
Ein maschinelles Übersetzungsprogramm kann den Ausdruck Primeiro estranha-se, depois entranha-se praktisch perfekt übersetzen, weiß aber nichts über den Kontext dieses Slogans, den Fernando Pessoa für eine Reklame von Coca Cola in Portugal kreiert hat und der später vom Estado Novo zensiert wurde. Ist das wichtig für den Zweck der Übersetzung? Das kommt darauf an, aber der Übersetzungsvorschlag des Programms At first it’s strange, then it’s understandable ist wirklich schwach…

 

Wir wollen keine Probleme. Wir wollen Lösungen. Wie lassen sich diese Probleme also lösen? Dafür gibt es generell mehrere Möglichkeiten: Ähnliche Redewendungen mit derselben Bedeutung in beiden Sprachen verwenden; Redewendungen mit derselben Bedeutung verwenden, die aber ganz anders formuliert sein können; nur den Sinn wiedergeben und frei formulieren, ohne Redewendungen zu gebrauchen; notfalls ganz weglassen.
Es gibt keine One size fits all-Lösung, die immer funktioniert, sondern der Übersetzer muss die im Einzelfall beste Lösung wählen und dabei auch Faktoren wie das Thema oder das Zielpublikum berücksichtigen. Würde man beispielsweise all die Redewendungen und Kalauer von Terry Pratchett in seinen Scheibenwelt-Romanen weglassen oder reduzieren, würde der Text viel von seinem Charakter verlieren. Ergänzt man aber zum Beispiel Übersetzungen von Werken von Haruki Murakami oder Khaled Hosseini mit Übersetzeranmerkungen, die bestimmte Ausdrücke oder Situationen erklären, dann ist dies für die Leser sehr bereichernd und öffnet ihnen die Augen für andere Kulturen. Das Übersetzen von Idiomen ist also kein Zuckerschlecken, oder wie man in Portugal sagen würde: não é nada pêra doce.

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